THE REVENANT


To whom it may concern: Gestern war’s wieder so weit. Mein jährlicher Kinobesuch stand an, und ich hab’s dann auch wie jedes Jahr durchgezogen. THE REVENANT ist es geworden, und ich muss mich hier gleich zu Anfang bei Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritu bedanken. Weil er etwas geschafft hat, was ich bisher für unmöglich gehalten habe: Es hat das elendige, nicht totzukriegende Zeugnis menschlicher Ignoranz und Dekadenz, das ewig nervende Popcorn- Geknurpsel und Papiertütengeraschel schon in der ersten Minute seines Films rigoros abgestellt. In meinen Augen ist das einer der genialsten Schachzüge in der Filmgeschichte: Die erste Viertelstunde eines Films derart blutig zu gestalten, dass es ihnen einfach nicht mehr schmeckt. Tonnen von explodierten Maiskörnern standen nach dem Film noch original abgefüllt in ihren Pappbehältern an den Kinositzen und mussten vom Personal entsorgt werden, welches für die Laufzeit dieses Films aufgestockt wurde, um der Süsswarenflut mittels zur Entsorgung extra georderter Bauschuttmulden Herr werden zu können. Well done, Alejandro, das allein schon ist einen Oscar wert!
Als Leo dann in den nächsten drei Stunden Alles in wilder Natur widerfuhr, was einem in wilder Natur widerfahren kann und als er, allen medizinischen und anatomischen Erkenntnissen der Menschheit trotzend, in diesen drei Stunden Geschehnisse überlebte, welche zwölf ausgewachsene Ochsen auf der Stelle umbringen würden, drängte sich mir der Vergleich zu meinem eigenen Dasein auf. Ich hab mich zu meinem Sohn umgedreht und ihm zugeflüstert: „Der hat ja mehr Pech als ich!“ Worauf der Spross meiner Lenden antwortete: „Ja! Ich hab’s mir auch grad gedacht! Das ist unser Vorfahr. Das ist der Ur-Porzel!!“
Ich glaube, ich bin der einzige Kinogänger weltweit, der in diesem Film bei einer der unpassendsten Szenen mal kurz lauthals auflachen musste.
Und das mir. Wo ich doch diese Geschwätzigkeit für ein Verbrechen an der Kultur halte! Einmal hab ich, weil’s mir grad einfällt, eine Sünde begangen, im Lausbubenalter von 16 Jahren. Da bin ich mit meinem Kumpel Schlammi ins Theater gegangen und wir haben da mittendrin eine Tüte Chips gegessen. Das war äußerst gefährlich! Was hätte uns da alles zustoßen können! Volksschullehrer können in solchen Situationen zu extremer Brutalität neigen, und die Theater dieses bildungsfernen Landes sind voll mit diesen Leuten. Aber ich schweife ab, zurück zum Revenant:
Selbiger kroch drei Stunden schwerverletzt durch meterhohen Schnee, nachdem ihn ein Grizzly förmlich zerfetzt hatte, er trieb meilenweit vereiste Flüsse hinunter, kletterte fröhlich aus denselben und schürte viel Feuer in Stürmen, flog samt edlem Ross fünfzehn Meter in freiem Fall stürzend über eine Klippe und nächtigte schließlich bei Schneesturm in einem Pferd. Also, ich meine IN einem Pferd. Natürlich nicht, ohne es vorher auszuweiden, sonst hätte er da drin ja keinen Platz gehabt. Ich selber hätte wohl eher dazu geneigt, ein Feuer zu machen, meine Hose, Jacke und mein Hemd an- und den Kadaver den Geschehnissen der Natur zu überlassen, weil das der weitaus einfachere Weg gewesen wäre, eine Nacht im Freien zu verbringen, aber das muss Leo schließlich selber wissen.
Da ich aber selber ein Mann der Schmerzen bin, hat mich Eines gewundert: Weh tun geht tatsächlich anders. Wenn ich da zum Beispiel nur an meinen Bandscheibenvorfall denke: Es wäre mir unmöglich gewesen, auch unter noch so viel „Aaah!, „Uuuuh!“ oder „Mmmmmhhh“ bei Minustemperaturen aus meinem eigenen Grab zu klettern und 300km durch Eis und Schnee zurückzulegen. Geschweige denn, wenn mich vorher ein Braunbär zerrissen hätte.
Ich glaube, das können nur Amerikaner…
Donald Trump zum Beispiel. Der könnte das bestimmt auch. Wenn auch nur mit seinem großen Maul, aber theoretisch er könnte der das auch. Das haben sie uns voraus, die Amerikaner, da putzen wir gar nix.
Leos Oscar für Durch-Den-Schnee-Robben müsste man eigentlich jedem Bundeswehrsoldaten in der Grundausbildung verleihen. Ich meine, sofern selbige im Winter sattfindet. Im Sommer ist ja schlecht schneerobben.
Ansonsten ist der Film für Naturfreaks sein MUSS. Wenn man so wie ich den Wald liebt und die Wildheit und die Düsternis schätzt, dann sollte dieser Film unbedingt gesehen werden.
So, das war’s, bis nächstes Jahr. Ich hab ja schließlich auch noch was anderes zu tun (sonst heißt's wieder "Künstler...die Zeit möcht ich haben...") und verbleibe bis dahin

 

 

Euer Steff