Alle Jahre wieder ...


ALLE JAHRE WIEDER

Meine lieben Freunde, liebe Leser, ich möchte euch heute eine tatsächlich wahre und, wie ich meine, ergreifend echte Bamberger Weihnachtsgeschichte erzählen. Eine Geschichte aus einer Stadt, die ihre besten Anekdoten dereinst vor ihrem Ausverkauf selber zu schreiben pflegte…

Die besinnlichen und ruhigen Tage rufen alljährlich Erinnerungen an Ereignisse in mir hervor, welche lange Zeit zurückliegen und welche es wohl wert sind, ab und an erzählt zu werden, auf daß sie nicht verloren gehen in der hektischen Betriebsamkeit des langen Jahres. Und so trug sich vor langer, langer Zeit im weihnachtsschwangeren Bamberg die folgende Begebenheit zu: 

Ein guter Freund zog, als der Winter noch eine kalte Jahreszeit war und die damals noch ruhige, friedliche Altstadt unter einer weißen Zuckerdecke aus Schnee lag, welche vom Massentourismus nicht alsbald zertreten wurde, mit meiner Wenigkeit im Schlepptau gen Berggebiet los, um in einer uns wohlbekannten und dereinst sehr beliebten Spelunke am Stephansberge dem Weihnachtsfest den alljährlichen Tribut in Form einer ausführlichen Bockbierverköstigung zu zollen. 

Die Bewohner unseres lieblichen, alten Städtchens blieben damals nach Anbruch der Dunkelheit hübsch in ihren Stuben, die Gassen waren menschenleer, in der Luft lag der Geruch der fröhlich fliegenden Flocken, und die Vorfreude auf das edle Gebräu nahm uns schier den Atem. In der Wirtschaft angekommen setzten wir uns rasch nieder, um die ersten Krüge zu bestellen, tranken oft in einem Zuge, während eine altbekannte, wohlige Wärme sich in uns ausbreitete und uns endgültig in die Weihnacht einstimmte. 

Wir saßen in geselliger Runde, erzählten neue und alte Geschichten, lachten viel und leerten die Krüge, einen nach dem anderen, bis es schließlich an der Zeit war, die heimelige Stätte der Gastfreundschaft zu verlassen und den langen Heimweg in die Wunderburg anzutreten, welcher ja zu jener Zeit noch von uns durch Schnee stapfend bewältigt werden musste. Ein jeder, der das Bamberger Bockbier je in seiner Vielfalt gekostet hat, weiß um die euphorisierende und gleichzeitig lähmende Wirkung des flüssigen Goldes, und so machten wir uns gegen Mitternacht auf, um die lange Strecke noch zuwege bringen zu können und um den nächsten Tag nicht vollends zu verpassen.

Unser Weg führte uns durch die von Lichtern geschmückte Lange Strasse, als wir, bereits durch den Abstieg vom Stephansberge geschwächt, heftigen Durst verspürten und wir deshalb in eine zu jener Zeit noch neue Mac Donald’s Filiale abbogen, in welcher es, man lese und staune, auch zu später Nachtzeit noch Dosenbier zu erwerben gab. In unseren Tagen der Hektik und Betriebsamkeit kaum mehr vorstellbar, damals jedoch durchaus üblich. Mein guter Freund und ich deckten uns nun mit jenem Dosenbier ein, wohl wissend um die Gefahr der Dehydrierung auf dem noch langen Weg, und machten uns erneut gen Wunderburg auf. Als wir jedoch am Ende der Langen Strasse ankamen, lud uns der Anblick der Weihnachtskrippe am Schönleinsplatz erneut zum Verweilen ein. Wir überquerten die Strasse und suchten in dem vor Wochen bereits errichteten Kripplein Schutz vor dem Schnee, welcher nun wieder heftiger hernieder fiel und das Fortkommen erschwerte. Unter dem Dache angekommen, schlossen wir alsbald Freundschaft mit Ochs und Esel, sahen Maria und Josef über den Sohn gebeugt im Elternglück erstrahlen und waren Zeugen der Heiligen Drei Könige, welche ihre mitgebrachten Gaben in der Krippe verteilten. 

Es dauerte nicht lange und das schlechte Gewissen suchte unser habhaft zu werden, standen wir doch bar jeder Gabe inmitten der Familie. Doch die Vorsehung wollte es, dass wir trotz der inneren Verzweiflung einen Umstand bemerkten, welcher uns bis dato nicht offenbar wurde: Die Hände der Figuren waren derart geschnitzt, dass sich zwischen Daumen und anderen Fingern ein Spalt auftat. Einer plötzlichen Eingebung folgend drückten wir unsere erst erworbenen Bierdosen ein wenig zusammen, so dass sie auf wunderbare Weise Halt fanden in den Händen der Krippenbewohner und wir so einen nach dem anderen bestücken konnten, bis ein jeder versorgt war und wir unseren Weihnachtsobolus schließlich zur Gänze entrichtet hatten. 

Eine seligere Gesellschaft hat es nie gegeben, man strahlte eine Zufriedenheit aus, die ihresgleichen sucht. Bis an mein kühles Grab werde ich wohl den Ausdruck der Glückseligkeit auf dem Antlitz des heiligen Josef nicht vergessen:

Wir hatten in jener Nacht Bambergs Seele in die Krippe gebracht...

Frohgemut und innerlich jauchzend ob des Nachhalls der guten Tat setzten wir unseren Weg gen Wunderburg schließlich fort, nicht ohne uns noch einmal umzudrehen und ein Wiedersehen zu winken…. 

So trug es sich zu in jener kalten Januarnacht vor fünfunddreißig Jahren, als der Winter noch ein Winter war, der Schnee noch weiß und die Stadt menschenleer und friedlich. 

Jedoch, folgenlos freilich blieb die gute Tat nicht: Der FRÄNKISCHE TAG entdeckte unser selbstloses Wirken alsbald und versah seine selbst geknipste und in der Zeitung erschienene schwarzweiße Photographie wortwörtlich mit diesem Kommentar: 

„AUF EINE DERARTIGE AKTUALISIERUNG DES WEIHNACHTSTHEMAS KÖNNEN WIR DANKEND VERZICHTEN!“ 

Nie wurden in dieser Tageszeitung wahrere Worte geschrieben.

Und nun euch allen, liebe Leser, eine frohe Weihnachtszeit. Prost!