ON THE ROAD WITH – MAX

6. NOVEMBER 2009

Bilder lassen sich durch anklicken vergrößern
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Den folgenden Text hab ich vor acht Jahren für Max geschrieben. Am 30. Oktober 2017 jährte sich sein Todestag zum achten mal…

 

Ich sitze in einem Hotelzimmer (Nr. 414) in einer Herberge mitten auf St Pauli, draußen tobt die Reeperbahn mit dem Schalldruck des Autos von meinem Nachbarn und der HSV hat gerade 0:0 gegen Glasgow gespielt. Blöderweise in Hamburg. Die Schottischen Anhänger machen jetzt hier im Hotel kräftig einen auf dicke Hose, es singe, wem Gesang gegeben. Der Gig in Uwe’s Downtown Bluesclub gestern Abend ist für eine eventuell erscheinende DVD aufgezeichnet worden und die Tour läuft bis jetzt ganz gut.

 

Schlafen kann ich nicht, weil ich an Max und seine Familie denke. Ich hab’ schon mal über ihn geschrieben, den Wizard of Oz, der ein Auto aus Gaffer Tape fuhr. 

Wir haben ihn auf einer Tour in Australien kennengelernt. Max war unser Backliner, also zuständig für die vor Ort gemieteten Instrumente. Als wir ihn zum ersten mal aus unserem Tourbus heraus erspähten, konnten wir eigentlich nicht so richtig glauben, wen wir da sahen. Da stand ein barfüßiger Riese von einem Mann mit gewaltigem Bauch und einem Vollbart bis zu den Knien, mit Händen wie Schaufeln und den umfangreichsten Löchern in den Klamotten, die die Welt je gesehen hat. Max hatte T-Shirts mit Löchern drin, die waren größer als das Hemd selbst, Schuhe trug er nie und ich glaube, er besaß gar keine. Ich hab’ ihn jedenfalls nie mit welchen gesehen.

Dieser Mann hatte vom ersten Augenblick unserer Begegnung an etwas Faszinierendes, es umgab ihn eine unglaubliche, manchmal schon unheimliche Aura, der man sich als normal Sterblicher kaum entziehen konnte. Nachdem wir uns ein paar mal gegenseitig von oben bis unten gemustert und die ersten Umkreisungen und das übliche Beschnuppern hinter uns hatten, entpuppte sich der Riese zu unser aller Erleichterung als sympathisch, gutmütig, umgänglich, friedfertig und hilfsbereit, und wenn er lachte, hatte das was von einem Donnergrollen, das die Erde unter seinen Füßen zittern ließ. Er wirkte ein bisschen wie der Scheinriese Tur Tur aus Michael Ende’s „Die Wilde 13“, der beim Näherkommen kleiner wird, nur ein bisschen dicker. Es ging aber auch anders, da gab’s zwischendurch auch mal „Schluss mit Lustig“: Wehe denen, die Max in irgendeiner Weise krumm kamen! Meistens genügte schon ein Blick von ihm, um etwaige Unklarheiten zu beseitigen. Wenn’s dann tatsächlich soweit kam, dass Max was sagte, stellte man sich besser nicht in den Weg. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte er mal hinlangen müssen. 

Dieser Mann hatte seine und unsere Welt allein durch sein Erscheinungsbild fest im Griff. Nur einmal ließ er sich zurechtweisen: Die Chefin des Southern Cross Clubs in Canberra lehnte es ab, mit jemandem in solchen Klamotten an einem Tisch zu speisen. Der Club hat uns richtig gut bekocht, nicht das übliche Raststättenzeugs. Die Dame des Hauses, eine zuvorkommende Frau, ebenfalls mit dem Herz am rechten Fleck, legte eben nun mal Wert auf einen gewissen Stil und hat Max darauf hingewiesen, er möge doch etwas „weniger Ventiliertes“ zum Essen tragen. Da zog er dann zwar maulend, aber geschlagen los und kaufte sich tatsächlich ein anderes Hemd. Ich hab’ mich echt gewälzt vor Lachen… 

Bild: Spencer Davis; Colin Hodgkinson; Max; Eddie Hardin; Steff; Ed Tree
Bild: Spencer Davis; Colin Hodgkinson; Max; Eddie Hardin; Steff; Ed Tree

Der Herrgott hat, wie mir gerade auf dieser Tour wieder mal auf entsetzliche Weise klar wird, einen wahrhaft großen und weiten Tiergarten. Man trifft, wenn man so viel unterwegs ist, vom Dampfplauderer und Dünnbrettbohrer und ach so cleveren und eigentlich nur bedauernswerten Seelenverkäufer über den zuverlässigen Arbeiter im Hintergrund bis zu den weitaus selteneren wahren Erleuchteten alle Sorten von Menschen. Manche trifft man gerne, von anderen wünscht man sich, man hätte sie nie kennengelernt. Und dann gibt es noch solche wie unseren Großstadtaborigine Max. Begegnungen der dritten Art, die man alle zwanzig Jahre mal hat. Mein alter Freund und Kupferstecher Bernie Zylka und ich wurden aus anfänglich stiller Bewunderung heraus in ungebührlich schneller Weise zu Max- Fans. Das geht normalerweise nicht so schnell, weil wir in diesem Geschäft gelernt haben, ein bisschen besser hin zu gucken, mir wem wir’s zu tun haben. Da bleibt man auch mal, so wie heute Nacht, auf Abstand lieber alleine statt gemeinsam einsam im Hotel sitzen und lässt eingebildete und rummaulende Rockstars gerne eingebildete und rummaulende Rockstars sein. Aber in Sydney war das anders. Bernie und ich besuchten Max in seinem Viertel, hörten „TEX, DON & CHARLIE“ (die mich immer noch umhauen), tranken Ozeane von Foster’s und Victoria Bitter, spielten Billard und erzählten uns Räuberpistolen aus dem Musikgeschäft, bei denen Dichtung und Wahrheit sich wie immer freundlich die Hände reichten.

Nach unserm Abflug von Oz blieben Max, der mit seinem Familiennamen aus guten Gründen nichts zu tun haben wollte, und ich in Verbindung. Seine Freundin Anne bekam vor nicht allzu langer Zeit einen Sohn, Jack, der ein lebhaftes Interesse für’s Schlagzeug zeigt und wohl ein echter Trommler werden wird.

Kurz nach der Geburt seines Sohnes hatte Max einen ziemlich schweren Motorradunfall. Irgend so ein Heinz ist ihm in Sydney reingeknallt, hat ihm sämtliche Knochen gebrochen und ihn ans Sofa gefesselt. Der alte Buschläufer hat es gehasst, sich nicht mehr bewegen zu können.

 

Vor ein paar Wochen erhielt ich ein e-mail von Anne, die mir mitteilte, dass Max sich in kritischem Zustand befand. Die Ärzte fanden einen Tumor in seiner Leber, dazu Metastasen in anderen Körperbereichen. Dann ging alles sehr schnell. Wir schrieben noch einige Male hin und her, bis er auch dazu nicht mehr in der Lage war.

 

Am 30. Oktober gegen 5:30 erhielten wir von Anne die Nachricht, dass Max gestorben ist. 

Ich schrieb ihm ein paar Stunden später gegen zehn Uhr eine letzte SMS:

„Rest in peace, my friend!”

Und bekam auch prompt eine letzte Rückmeldung. Auf meinem Display erschien

„Nachricht zugestellt“.

Na, wenn das so ist! Wir seh’n uns, Max. Mach’s gut und bleib, wie du warst, mein Freund.

 

Gute Nacht

Steff

 

 

PS: Colin, durch und durch Engländer der alten Schule mit Anstand und Charakter, hat mir soeben sein eigenes Statement geschickt. Ich lass’ es in Englisch, so wie’s ja auch gedacht ist:

 

Max was a larger than life character with a heart to match. Even though

we only knew him for a short time he was a tremendous help to us on

our Australian tour and without him it would have been difficult to say

the least. Also I'll be eternally grateful to him for introducing Steff and

me to Victoria bitter!! Cheers Max! 

Colin

 

 

PPS: Aus THE DRUM, Sydney’s Musik Zeitung: