ON THE ROAD - MIT DEM OBERFRÄNKISCHEN FASCHING

 

Es ist wieder so weit: Die alljährliche Furcht bricht sich ihre Bahn… 

Wir Musiker brauchen alle immer dringend Gigs. Aber um diese Jahreszeit haben die meisten gestandenen und echten Rocker hier in der Gegend eine Heidenpanik davor, tatsächlich welche zu kriegen. Und so klappern mir auch die Knochen. Was mich dabei umtreibt, ist weniger der Gedanke an die Arbeit an sich, die mach’ ich ja weiß Gott lange genug. Es ist vielmehr mehr die pure Höllenangst vor dem alljährlichen Arbeitgeber im Februar. 

Schon bevor dir die Kohle ausgeht und du nicht mehr weißt, wie du deine Umsatzsteuer bezahlen sollst, steht der zahlkräftige Leibhaftige schon Hufe scharrend und schnaubend vor Angriffslust in den Startlöchern. Ich rede von dem, dessen bloße Namensnennung den Teufel selbst in die Flucht schlägt. Von dem, dessen Name nicht genannt werden soll: 

Vom oberfränkischen Fasching! 

Bestens bekannt für den rücksichtslosen Gebrauch monetärer Erpressung kennt er meine Finanzlage ganz genau und steht jedes Jahr manchmal ab Oktober schon lauernd vor meiner Wohnungstür. Der Henker aller Hoffnung auf kulturelle Besinnung weiß ganz genau, dass die Miete gezahlt werden und der sündhaft teure Altskoda wieder Bremsbeläge braucht.

Seit Äonen verbringe ich daher die letzten Monate des alten und die ersten Wochen des neuen Jahres mit heruntergelassenen Rollläden im Dunkeln, das Telefon unter Bergen von Kissen versteckt, damit ich es nicht hören muss, bis ich es schließlich doch ausgrabe, weil der Hunger mich zwingt, endlich ran zu gehen. Das Läuten allein verkörpert zu dieser Zeit entgegen seiner gewohnten Harmlosigkeit das nackte Entsetzen und wandelt sich zur Manifestation eines akustischen Gewaltverbrechens; der Angstschweiß steht mir trotz kalter Jahreszeit vierundzwanzig Stunden am Tag nicht nur auf der Stirn, sondern drückt aus allen Poren meines geschundenen Körpers. Ich hebe nach dem tausendsten Klingeln endlich diesen gottverdammten Hörer ab, wohl wissend, dass ER dran sein wird und welche Worte mich an meinem Ende der Leitung erwarten: 

„Na? Kennst du mich noch? Wie geht’s? Lange her, mein Junge. Immer noch zusammen mit den anderen armen Irren am Hungertuch zu finden? Wie isses? Hast du am Rosenmontag Zeit? Nix Schwieriges. So Zeug wie ‚Komm hol das Lasso raus wir spielen Cowboy und Indianä’, ein paarmal ‚Wahnsinnwarumtreibstdumichindiehöllehöllehöllehölle’ und so, Chorstimme hörst du eh selber, Tempo zähl’ ich dir vor, Schluss auf Zuruf, ab und zu humpa tätäräää, und hast du nicht gesehen, sind die zwölf Stunden um. Zweihundert Möpse. Gut, sagen wir 250, damit du deine Steuer und den Sprit noch hast. Festgage, Junge! Nix mit Hut! Und wegen deinen Nachbarn: Setz’ dir doch einfach ne Pappnase auf, dann erkennt dich keiner. Na? Was is? Bist du dabei?“ 

Das läuft immer ab wie der Hofdialog zwischen einem kleinen Vorstadtkriminellen, der schlechtes, gestrecktes Gras verkauft und seinem Dorfkunden, der in der Gegend halt eben nun mal nix anderes kriegt. 

Und du sprichst es wieder aus… Das kleine Wörtchen, dem du schon so oft abgeschworen hast und das dich schon so oft mit mindestens einem Bein ins Narrenhaus gebracht hat. Unter Tränen quälst du es stockend über die Lippen: „J…j..aaa, ok, ich mach’s…“

Du ziehst deine Schuhe an, öffnest die Wohnungstür einen Spalt und zack, hat dir der üble Scherge schon die deutschkulturelle Zwangsjacke angelegt. 

Während dich der Fasching am Nasenring zu deinem Auto führt, denkst du daran, wie du dich früher noch gewehrt hast, aber die letzten dreißig Jahre haben dich die Resignation in Reinform gelehrt. “Ich-war-jung-und-brauchte-das-Geld“ zählt nicht mehr. Du bist damit alt geworden. Du weißt, daß jeder Widerstand zwecklos ist. Der oberfränkische Fasching hat dich fest am rechten Arm im unauskommbaren Stoibergriff. Er verschleppt dich in seinen Proberaum, gut versteckt in einem dunkelen Föhrenkieferfichtennadelgetänn, wo dich seine beiden Dominas, die sadistische Schützenliesl und die grenzdebile Rosamunde, beide hervorgegangen aus einer uralten Geschwisterliebe, schon geifernd und zeternd erwarten. Es kommt dir ein unerwartetes und unbeholfenes „Na-ihr-zwei-Hübschen-seid-ihr-auch-wieder-dabei?“ über die Lippen, während sie dich höhnisch grinsend auf den verrosteten Schlagzeughocker schieben und dir ein Wasser ohne Kohlensäure anbieten. 

„Müssen wir das Frankenwaldlied proben? Das können wir uns doch schenken, oder?“ 

Aber sie kennen deine lausigen Ansätze, der Dreiviertelfolter entkommen zu wollen. Sie wissen, dass du es mit der Sechsachtelpeitsche versuchen wirst, weil die weniger weh tut. Aber sie lassen dich nicht. Die Inquisition zwingt dich zu einem 

„Wenn-du-noch-eine-Schwiegermutter-hast-ja-dann-schick-sie in-den-Ooooodenwald! Denn-im-Wald-da-sind-die-Roooooooooooiibä-halli,-hallo-die-Roooooibä…“ 

und dein Kreislauf ist ob dieser Höllenqualen schon dabei, zu kollabieren. Dies jedoch ist dir nicht vergönnt, die gnadenlosen Furien wecken dich mit einem kalten und brutalen „I will survive laaaaalalalalaaaa….“, weil du ja die diesjährigen Neuerungen im Repertoire nicht verpassen sollst. 

Und sie sind, was jene Neuerungen angeht, wahrlich an Einfallsreichtum nicht zu übertreffen! Es ist, als würden sie dir die Fingernägel mit glühenden Zangen ziehen: 

Ein Helene Fischer Medley, gefolgt von einem Andreas-Gabalier-Best-Of!!!!! 

Es ist die Geschichte der fröhlichen Pappnasenfolter eine wahrlich sehr lange, aber eine derartige Grausamkeit ist wohl noch keinem der alljährlichen Inquisitoren eingefallen. 

„Hoooch die Hände, Freundeee, wo seid iiihr…?“

Es ist an der Zeit: Dein Beißreflex macht sich bemerkbar. Jedes Jahr im Februar untrügliches Indiz dafür, dass deine Belastungsgrenze überschritten ist. 

Es hat ein jeder Leser dieser Zeilen wohl schon einmal die Becken (Das sind die runden Scheiben aus Metall an einem Schlagzeug, die immer so laut sind. Neudeutsch „Cymbals“. Anm. des Verfassers) einiger Schlagzeuger betrachtet. Ich meine die, die so aussehen, als hätte jemand ein Stück am Rand herausgebrochen. 

Also bei den Becken jetzt, nicht bei den Schlagzeugern. 

Das sind aber gar keine Bruchkanten. Das kommt auch nicht vom Draufhauen. 

Es handelt sich dabei vielmehr um die Spuren, die ein Trommlergebiss hinterlässt, wenn es versucht, seinem Träger durch heftiges Zubeißen die psychosomatischen Schmerzen zu lindern. Wann immer ihr also kaputte Becken auf einer Bühne seht, denkt mal daran, durch welche oberfränkische Faschingshölle der Besitzer derselben gegangen ist. 

Denn es bleibt ja nicht bei der Probe allein: Wenn man so richtig Pech hat, sind bei den darauffolgenden Auftritten auch welche mit so Zeug wie „Elferrat“ oder Ähnlichem dabei. 

Wo Leute dann Gedichte auf Lodda-Maddäus-Niveau vorlesen. 

„Mei Dochdä hasd Aamäla!“ „Wiesodn des?“ „No, deina hasd doch aa Gisela!“

„Tätä,tätä,tätäääääääääääää. Bumm.“

Halt. Entschuldigung. Wir sind in Oberfranken:

„Dädä, dädä, dädäääääääää. Bumm.“

Jetzt hammers.

Und du kannst dich nicht mal betrinken, weil du noch fahren musst. Und die netten Polizisten glauben dir wie jedes Jahr kein Wort, wenn du ihnen erzählst, dass du tatsächlich keinen Schluck getrunken hast. Bis auf das Mineralwasser ohne Kohlensäure von Rosamunde und der Schützenliesl natürlich.

Die Schilderung der alljährlichen Torturen ließe sich endlos fortsetzen, würde jedoch den in den meisten Fällen zeitlich zur Verfügung stehenden Rahmen der werten Leserschaft sprengen und nebenbei den Gewaltfantasien eines Hieronymus Bosch den Rang ablaufen.

Lassen wir’s dabei. Es reicht eh schon.

Klappe halten. Abbauen. Kohle holen. Und wenn dich dabei einer der Besoffskis entdeckt und auf dich zuwankt, um dir sagen zu wollen, daß du eine Konifere auf deinem Instrument bist, schnell verschwinden.  

Du setzt dich schließlich, aus tausend Wunden blutend, in deinen alten Skoda, schaltest das Radio an und fährst nach Hause. 

Sie lesen gerade Nachrichten auf Bayern 5.  

Zu Unwettern, zu seltsamen amerikanische Politikern, zu Vulkanausbrüchen und Hochwassern.

Sie sind wunderschön…

 

Basd auf euch auf bein Cowboy und Indianäles und dschüss mid einen gands häddslichn Helau!

Euer Steff

PS: AM ASCHERMITTWOCH IST ALLES VORBEI!!